Esel sind störrisch, stur und faul. Dumm sind sie natürlich auch. Man kennt es aus Kreuzworträtseln: Es wird nach einem anderen Wort für Torheit gefragt und die Lösung lautet: Eselei. Auch „Du Esel!“ wird gemeinhin nicht als Kompliment aufgefasst. Dass diese Klischees reiner Unsinn sind, müsste inzwischen auch der größte Esel wissen. Aber im Ernst: In der christlichen Mythologie ist der Esel ein Star. Auf Darstellungen von der Segnung des Jesuskinds in Bethlehem durch die drei Weisen aus dem Morgenland ist er ein beliebter Zaungast. Und in der biblischen Geschichte zum Palmsonntag reitet der Messias auf einem Esel nach Jerusalem ein. Esel waren in diesen Zeiten ein Zeichen von Wohlstand, ein Statussymbol. In natura ist der Esel heute wieder im Kommen. Besonders im Trend: Wandern mit Eseln. Ein ungeheuer beruhigendes und entspannendes Naturerlebnis, haben sich unsere beiden los!-Reporter sagen lassen – und sofort gedacht: Das wollen wir auch!
Anbieter von Eselwanderungen gibt es in Schleswig-Holstein einige. Wir entscheiden uns auf gut Glück für Sabine Rathmann und eine Schnuppertour in den Hüttener Bergen. Ein kurzes Telefonat ergibt: Wir können uns gerne kurzfristig einer kleinen Gruppe anschließen. Dafür müssten wir allerdings nach Jerusalem reisen. Kein Witz! So heißt nämlich tatsächlich die Straße im Brekendorfer Forst in der Nähe von Owschlag. Bethlehem ist übrigens auch nicht weit weg. Gibt es eine passendere Umgebung für eine Eselwanderung? Die Wetteraussichten sind prächtig und wir sagen gerne zu.
Carlotta ist die „Professorin“ im Team.
Zögern und Zaudern interpretiert sie als Carte blanche
für unabhängige Entscheidungen.
An einem Frühlingsvormittag biegen wir in die Einfahrt des Eselhofs ein. Sabine Rathmann hat unsere suchenden Blicke richtig interpretiert und kommt uns schon von der Haustür entgegen. Freundlich bittet sie uns herein und stellt uns unserer Wandergruppe vor: Regina, Gaby und Maren. Alle haben schon Erfahrung mit den Langohren. Regina ist seit ein paar Tagen eine Art Eselpraktikantin bei Sabine. Sie reist normalerweise als Sängerin mit ihrem Akkordeon durch die Welt und lernt von den Einheimischen landestypische Lieder. Dabei ist sie auf den Esel gekommen und will jetzt alles über diese Tiere wissen. Außerdem sollen alle Lieder, die sich dem Grautier widmen, in ihr Repertoire. Maren ist Wanderführerin in Rheinland-Pfalz. Für die Prüfung muss man dort eine Spezialkategorie anbieten und sie hat die Eselwanderung gewählt. Neben den beiden „Profiinteressentinnen“ ist Marens Freundin Gaby die einzige „Amateurin“. Ihrer Motivation tut das keinen Abbruch.
Jetzt lernen wir die Protagonisten des Tages kennen: Zu fünft stehen sie im Stall. Auf den ersten Blick wird klar: Esel ist nicht gleich Esel. Schon rein äußerlich sind es sehr individuelle Wesen. Eskima ist die Kleinste. Weich und flauschig schaut das hellbraune Eselmädchen aus und ist mit fünf Jahren auch die Jüngste der Herde. Allerdings ist Größe kein Alterskriterium. Die dunkelbraune Carlotta ragt ein paar Zentimeter über Eskima hinaus, recht klein ist sie trotzdem. Sie ist die Stallälteste – stolze 25 Jahre zählt sie – und wird uns als sehr selbstbewusst vorgestellt. „Die Professorin im Team. Man könnte sie stur nennen, aber das mache ich natürlich nicht“, sagt Sabine lachend. Carlotta schätze es sehr, sich durchzusetzen, und brauche schon eine klare Hand. Zögern und Zaudern interpretiere sie als Carte blanche für unabhängige Entscheidungen. Allein durch seine imposante Größe macht dagegen Don Corleone bei uns Wanderern Eindruck. Weißgrau und etwas struppig verströmt er – obwohl erst 14 Jahre alt – eine gewisse Abgeklärtheit, wenn nicht sogar Grandezza. Wir machen außerdem die Bekanntschaft von Gusolana, die sich krankgemeldet hat, und Caline, die heute ebenfalls zu Hause bleibt.
Eben stehen wir noch staunend um die gemütlichen Tiere herum, im nächsten Moment heißt es Anpacken: Um uns mit den Tieren vertraut zu machen und – noch viel wichtiger – sie umgekehrt an uns zu gewöhnen, gehen wir auf Tuchfühlung. Mit einer Bürste in der Hand den Eseln kräftig durchs Fell streichen, sie ordentlich „aufstrubbeln“, erklärt Sabine, „das mögen sie gerne“. Während wir dabei das lebendige Ohrenspiel der Esel bewundern, lernen wir auch schon, es zu deuten: Viel Bewegung zeugt von Aufmerksamkeit. Sind die Ohren dagegen flach angelegt, ist das Tier stinkig. Aber dazu wollen wir ja den Tieren ohnehin keinen Grund geben. Im Einklang soll die Wanderung vonstattengehen und dafür gibt es ein paar wichtige Hinweise: Wir werden die Esel an einem Seil führen, das wir als Schlaufe fassen und dadurch recht kurz halten. So haben wir immer die Möglichkeit, schnell und bestimmt zu reagieren, wenn etwa das frische Gras am Wegesrand lockt. Es gilt, den Kopf des Tieres von begehrlichen Seitenblicken abzuhalten, denn erstens sollen sie während der Tour nicht fressen – Hunger haben Esel immer – und zweitens: Wenn einer frisst, wollen das die anderen auch. Esel sind Gerechtigkeitsfanatiker.
„Jetzt wird ordentlich entschleunigt!“, ruft Gaby voller Tatendrang, fasst nach Eskimas Leine und los geht’s. Langsam, etwas unsicher – oder sagen wir: behutsam – setzt sich die Gruppe in Bewegung. Regina bleibt esellos und beobachtet vor allem das Geschehen. Maren führt Carlotta und Sabine begleitet mit der Gelassenheit der Kennerin Don Corleone (oder liebevoll Corli, wie alle ihn ab jetzt nennen). Während mein los!-Kollege alles mit der Kamera festhält, erzählt mir Sabine von den Anfängen dieses Projekts. Tierbegeistert war sie schon immer, hat viel mit Pferden gearbeitet. Als die Tierheilpraktikerin mit der Idee spielte, Wanderungen durch die idyllischen Hüttener Berge anzubieten, brachte sie ein Freund – selbst Tierarzt – auf Esel. Es war Liebe auf den ersten Blick. Zwei Esel schaffte sie sich an, einer davon der damals vierjährige Corli, der – ein Seitenblick – gemütlich neben uns trottet.
Nach einer Viertelstunde übernehme ich Corli. Oder er mich, da sind wir uns noch uneinig. Er will stehen, ich möchte, dass er geht. Ich muss ziehen und gleichzeitig losgehen, darf dabei nicht zu viel Druck ausüben, soll aber klar im Anzeigen meines Wunsches sein, „sonst merkt er, dass du ein unsicherer Mensch bist. Da ist er nicht zimperlich“, sagt Sabine. Aber so ehrfurchteinflößend Corlis massiger Körper auch ist, langsam grooven wir uns ein. Ich merke, dass es eine Freude ist, Schulter an Schulter mit meinem Gefährten durch den duftenden Wald zu gehen. Von Corli nehme ich an, dass es ihm genauso geht. Auch die anderen haben großen Spaß an den Tieren. Die Wanderung verläuft ohne Zwischenfälle, nur die drei Esel vom Grasen abzuhalten, ist gelegentlich Schwerstarbeit. So sicher sitzen die Handgriffe nicht, sodass auch mal Sabine zu Hilfe kommen muss. Denn wenn die Tiere wollen, könnten sie einen ganz leicht beiseiteschieben und anfangen zu grasen. Sabine dagegen kennt ihre Pappenheimer und weiß sie jedes Mal vom Gegenteil zu überzeugen.
Wir passieren Bienenstöcke, Balsampappeln, die einen betörenden Geruch verbreiten, und sehen einen Seeadler kreisen. Oder ist es ein Milan? Während ich darüber nachsinne, erscheint es mir als das Selbstverständlichste auf der Welt, in Eselbegleitung zu sein – die Zeit passt sich dem gemächlichen Rhythmus des Tieres an. Das ist vielleicht das Erstaunlichste: Kaum glaubt man, einigermaßen die Handgriffe zu beherrschen und die richtige Haltung an den Tag zu legen („Mach dich nicht klein!“), hat man auch schon das Gefühl, dass alles wie von selbst läuft. Ein paar abgelehnte Graswünsche inklusive.
„Es scheint das Selbstverständlichste auf
der Welt, in Eselbegleitung zu sein – die Zeit passt sich dem
gemächlichen Rhythmus des Tieres an.“
Nach etwas über einer Stunde nähert sich unsere kleine Karawane schon wieder dem Hof Jerusalem. Es ist erstaunlich, wie viel diese kurze Tour bewirkt hat: Mindestens so ausgeglichen wie unsere vierbeinigen Begleiter, die Seele gefühlt doppelt so weit wie bei unserem Aufbruch, kehren wir tiefenentspannt zurück. Jetzt gibt es Heu für die Esel und nun dürfen sie auch die mühsam bewahrte Contenance aufgeben und nach Herzenslust fressen. Für uns gibt es noch eine Überraschung. Regina holt ihr Akkordeon und verteilt Zettel mit einem Esellied von Hans Albers. Was für ein Abschluss: Eine Gruppe glücklicher Menschen singt vor der Kulisse zufrieden grasender Esel, „dass auch der Mensch hier oft ein dummer Esel ist“. So herum gesehen können auch Corli, Carlotta, Eskima, Caline und Gusolana bestimmt gut mit dem Klischee vom dummen Esel leben.
Die Heimat von Don Corleone & Co:
Sabine Rathmann
Hof Jerusalem
24811 Owschlag (Brekendorfer Forst)
T. 04353.998 78 66
www.eselwandern.wordpress.com
Weitere Anbieter in Schleswig-Holstein:
Ostsee-Eselwanderungen in Hohenfelde
www.ostsee-eselwanderung.jimdo.com
Eselkoppel an der Schlei
www.eselkoppel.de
Eselkoppel Honigholz in der
Plöner Seenlandschaft
www.eselwandern-ploen.de