Nachhaltige Innovationen aus dem Norden

Der Bedarf an elektronischer Datenverarbeitung wächst ­ständig – und ­damit auch der Energieverbrauch. Das ist schlecht fürs Klima, denn: mehr Stromverbrauch, mehr CO₂-Emissionen. Wie ­reagieren ­Unternehmen und ­Institutionen im Norden auf diese Heraus­forderung? los! hat sich umgehört.

Es ist so bequem. Ein Klick mit Maus oder ­Fern­­bedienung und schon läuft der Spielfilm der Wahl. Wo noch bis vor ­einigen Jahren der Gang in die ­Videothek ­erforderlich war oder der Kauf einer DVD, wo ­früher das Fernsehangebot konkurrenzlos war, ­sorgen heute Streaminganbieter für ein riesiges ­Angebot an Abendunterhaltung. Als dann auch noch die Pandemie viele kulturelle Institutionen in den ­Lockdown zwang, stieg das Streamingvolumen abermals ­sprunghaft an.

Was auf den ersten Blick nur wie ein Wandel im ­Publikumsverhalten erscheint, birgt aber ein ganz ­anderes Problem: Streaming frisst Energie. Damit ­Filme und Serien jederzeit abrufbar sind, werden sie auf Servern gespeichert. Dafür benötigen sie Energie, müssen gekühlt werden und verbrauchen bei jedem Abruf zusätzlich Strom. Der unabhängige ­Thinktank ­„Borderstep Institut für Innovation und ­Nachhaltigkeit“ hat ­errechnet, dass sich in Deutschland der Strom­verbrauch der Hardware zur Daten­verarbeitung und -speicherung von 2010 bis 2020 um 84 Prozent ­erhöht hat – und davon entfällt auf ­Streaming ja nur ein ­Anteil. Man denke nur an die ungeheure Rechen­leistung, die rund um den Boom von ­Kryptowährungen zur ­Erzeugung von zum Beispiel ­Bitcoins anfällt. ­Zwischen 2022 und 2030 kommen nach der Prognose des Forschungs­instituts noch einmal 57 Prozent ­hinzu. Wie lässt sich also der Stromhunger der Rechenzentren so gestalten, dass Energie gespart und CO₂-­Emissionen vermieden werden?

Ein bemerkenswertes Beispiel, wie man dieses Problem ­angehen kann, findet sich in Nordfriesland. Auf dem GreenTEC Campus in Enge-Sande nahe Niebüll hat sich die Windcloud 4.0 GmbH angesiedelt. Das junge Unternehmen betreibt ein Rechenzentrum, das seinen Strom zu 98 Prozent aus vor Ort produzierter ­Windenergie ­bezieht. ­Geschäftsführer und Mitgründer Stephan ­Sladek beschreibt, wie es zu der Initialzündung kam. Nach einem Technologie-Vortrag vor etwa fünf Jahren erzählte ihm ein ­Teilnehmer von den Windparks in den Reußenkögen bei Bredstedt. Als er sie selbst in Augenschein nahm, war er ­beeindruckt von den 180 Anlagen. Viermal mehr Strom wurde hier produziert, als in der Region verbraucht werden konnte. Das Problem: „Was das Rückgrat eines ­funktionierenden Nahverkehrs ist, nämlich ein gut ausgebautes Streckennetz, fehlt für den Strom noch, und zwar die für den Transport der ­Energie in andere ­Regionen notwendige Infrastruktur.“ Der ­Ausbau von Stromtrassen dauert lange, also sagte sich Sladek: „Wenn der Strom nicht zum Verbraucher kommt, bringen wir den Verbraucher zum Strom.“ Natürlich eignen sich große Industrieanlagen als ­„Verbraucher“ nicht, um nach Dithmarschen und Nordfriesland verlegt zu werden. „Aber Daten können leicht in die Nähe von Stromerzeugern ‚verpflanzt‘ werden. Ein Rechenzentrum ist also ideal, um den hier vor Ort erzeugten Überschuss an Windenergie zu nutzen“, meint Stephan Sladek und erzählt, dass zufällig zur ­gleichen Zeit ein großer süddeutscher Elektronikkonzern ­testweise einen Stromspeicher in Braderup einrichten ließ. Das war das letzte Puzzlestück. „Da im Sommer auch mal Flaute ist, kann ein solcher Speicher für Ausgleich sorgen, schließlich braucht ein Rechenzentrum ­durchgehend Energie.“ 2018 wurde Windcloud ­gegründet und im August 2020 der Standort in ­Enge-Sande in ­Betrieb genommen.­

„Wenn der Strom nicht zum Verbraucher kommt, bringen wir den Verbraucher zum Strom.“

Stephan Sladek, Windloud 4.0 GmbH

Stephan Sladek, Windcloud 4.0 GmbH

Dort hat sich Windcloud dann noch einer weiteren Heraus­forderung gestellt: Ein Großteil des Stroms, der in die Rechenprozesse fließt, wandelt sich in Wärme um – eine Energie, die lange ungenutzt blieb. Im Gegenteil: Es muss sogar für die Kühlung zusätzliche Energie aufgewendet werden. Die Temperatur, die das Kühlwasser bei Windcloud erreicht, ist allerdings zu niedrig, um damit zum Beispiel zu heizen. Geeignet ist sie dagegen zur Zucht von Mikroalgen. Auch hier nutzt Windcloud maxi­male räumliche Nähe. „Wir haben im wahrsten ­Sinne des Wortes einen draufgesetzt und ein Gewächshaus auf das Dach unseres Rechenzentrums gebaut. Die 32 Grad Celsius ­Abwärmetemperatur bieten das ideale Wohlfühlklima für die Algen.“ Vermarktbar sind die Wasserpflanzen als Nahrungsergänzungsmittel, aber klimaschonend ist vor allem, dass die Algen durch Photo­synthese CO₂ in Sauerstoff umwandeln. „Algen wachsen außerordentlich schnell, so dass gegenüber normalen Pflanzen in viel ­kürzerer Zeit mehr Biomasse entsteht. Und ein Kilogramm Biomasse bindet etwa zwei Kilogramm Kohlendioxid“, schwärmt Stephan Sladek von der innovativen Idee. „Für die Zukunft sind übrigens auch andere Verwendungen für die Alge denkbar, etwa um daraus Treibstoff oder Kohlefasern zu gewinnen.“

„Die Abwärme aus dem Rechenzentrum bietet das ideale Wohlfühlklima für unsere Algenzucht.“

Stephan Sladek, Windloud 4.0 GmbH

Ortswechsel: Wir fahren zum Deutschen Klima­rechenzentrum (DKRZ) in Hamburg-Rotherbaum. Die gemeinnützige GmbH stellt Rechenleistung für Klima­forschungsprojekte zur Verfügung. Hier wird ­Abwärme tatsächlich zum Heizen genutzt. Der ­Leiter Prof. Dr. ­Thomas Ludwig bettet die Energiefrage in ­einen ­etwas größeren Zusammenhang ein, Stichwort Energie­effizienz: Hier sei der größte Sprung um 2010 herum gelungen. „Unsere alten IBM-Maschinen ­fuhren ­immer mit 100 Prozent Stromverbrauch. Auf der ­nächsten ­Entwicklungsstufe haben dann die Rechner immer dann, wenn keine Benutzersoftware lief, bei den ­Prozessoren die Frequenz und die Spannung runter­gefahren, sodass sie nur noch einen Bruchteil der Energie verbrauchten. Das war im Prinzip Technologie, wie sie auch in unseren Laptops vorhanden ist. Fürs Hochleistungsrechnen war das neu.“ Nur noch ein Zwanzigs­tel der Energie wurde so verbraucht: „Deshalb kannst du auch die alten IBM-­Maschinen nicht mal mehr verschenken“, sagt der Informatik-Professor schmunzelnd. Ein zweiter Aspekt ist die Verkleinerung der Halbleiter auf den Chips. Je kleiner, desto weniger Strom, desto ­effizienter, erklärt Thomas Ludwig. Heute ist man fast bei einer Breite von „ein paar Dutzend Atombreiten, also wenigen Nanometern, ­angekommen“. Da ist dann aber ­irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht. Die ­gerade neu angeschafften Rechner seien auch „nur“ noch viermal schneller, während sie doppelt so viel Strom verbrauchen. Das sei zwar rechnerisch effizienter, aber die absoluten Stromkosten sind trotzdem doppelt so hoch wie bei den ausrangierten Maschinen.

„Wir verwenden 30 Prozent der Wärmeenergie unserer Rechner für da Beheizen eines benachbarten Unigebäudes. Das bringt einen ökologischen und ökonomischen Nutzen.“

Prof. Dr. Thomas Ludwig, Deutsches Klimarechenzentrum Hamburg

Prof. Dr. Thomas Ludwig, Deutsches Klimarechenzentrum Hamburg

Während das DKRZ seinen Standort nicht einfach wechseln und der grünen Energie nachreisen kann, hat Stephan Sladek mit seinem Unternehmen noch ­einiges vor: „Die Algengewinnung ist erst der Anfang, wir ­können durch Innovationen wie diese noch viel mehr ­erreichen. Ich würde mich freuen, wenn wir es hier im Norden ­gemeinsam schaffen, diese Entwicklung vor­anzutreiben.“ Weitere Zentren sollen entstehen, wo grüne Energie im Überschuss vorhanden ist, und so vernetzt werden, dass immer der gerade günstigste Standort ­genutzt werden könne. Insbesondere die Metropol­regionen mit ihren hohen Serveraufkommen ­könnten so entlastet ­werden. Dafür sei aber natürlich auch der Glasfaser­ausbau nötig, damit der Daten­verkehr schnell und ­effizient ­ablaufen könne, ­während sich die Speicher­leistung der Rechenzentren vor allem am ­verfügbaren ­Angebot regenerativer Energie orientieren soll. Dann macht sich Stephan ­Sladek auch keine ­Sorgen ­wegen des ­steigenden Bedarfs an Rechnerleistung, denn wenn ­grüner Strom genutzt wird und die Rechenzentren ­dezentral arbeiten, ließe sich das handhaben. „Schleswig-­Holstein“, meint Sladek, ­„könnte im Prinzip autark sein, was seine Energieversorgung ­betrifft.“

„Die Algengewinnung ist erst der Anfang, wir können durch Innovationen wie diese noch viel mehr erreichen.“

Stephan Sladek, Windcloud 4.0 GmbH

„Grüner Strom muss günstiger werden“

 

Die ­Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Sonja Peterson (siehe Bild rechts) ist ­Leiterin der Abteilung Forschungs­koordination & Transfer am Kiel ­Institut für Weltwirtschaft (IfW) und Honorar­professorin an der Christian­-Albrechts-­Universität zu Kiel.

Ist der Energiebedarf durch ­elektro­nische Datenverarbeitung ein ­Problem?

Er ist auf jeden Fall enorm. Ich habe gerade eine Masterarbeit betreut, die sich mit den Emissionen im Zusammenhang mit der digitalen Krypto­währung Bitcoin ­beschäftigt. Die elektronische Bestätigung der entsprechenden Transaktionen ­erfordert einen immensen ­Rechenaufwand. Die Autorin ­Sophia Falk nennt ­aktuelle Schätzungen, ­denen zufolge der jährliche Energie­verbrauch alleine von Bitcoin dem der gesamten Niederlande entspricht und damit verantwortlich für 0,29 Prozent­ der weltweiten energie­bezogenen CO₂-Emissionen ist. Dabei ziehen die Server häufig vor allem dahin um, wo Strom weltweit ­gerade ­besonders günstig ist. Deshalb ­stammen zwei Drittel des Stroms für die ­Bitcoin-­Rechenleistung leider aus fossiler Energie.

Was wäre besser?

Klimapolitisch und aus gesamt­wirtschaftlicher Perspektive wäre es natürlich besonders sinnvoll, wenn sich solche großen ­Datenverbraucher und andere stromintensive Unternehmen dort ansiedeln, wo Strom aus erneuerbaren Energie­quellen im Überfluss vorhanden ist. Das kann auch eine Chance für S­chleswig-­Holstein sein.

Welche Anreize müssten dafür gesetzt werden?

Grundsätzlich müsste der Strompreis sinken. Natürlich muss fossiler Strom ­teuer sein, aber vor allem ­müsste erneuerbare ­Energie ­deutlich ­günstiger werden. In Schleswig-­Holstein zum Beispiel ist der Strom aus Windenergie durch die Netz­umlagen und weitere ­Abgaben noch relativ teuer, obwohl er reichlich ­vorhanden ist.

Prof. Dr. Sonja Peterson, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW)