Michel Schroeder, 29 Jahre, aus Hamburg
Neun Jahre war Michel Schroeder alt, als es klick machte. Da saß er mit seinem Vater in der Aula des Lübecker Gymnasiums Johanneum und bestaunte den Auftritt der Schul-Bigband. Schlagartig war ihm klar: „Was die da machen, das will ich auch! Da war Action auf der Bühne, die Musiker* innen hatten Spaß. Das konnte man sehen.“ Für den Grundschüler war das ein Erlebnis, das zwei wichtige Fragen beantwortete: Auf welche Schule will ich nach der 4. Klasse gehen? Und welche Musik will ich in Zukunft machen? Sein Instrument, die Trompete, hätte beides hergegeben: Klassik und Jazz. Es ist das Johanneum geworden und die Musik war ab jetzt Jazz. Eine offenkundig gute Wahl, schließlich ist etwa 20 Jahre später aus dem begeisterten Jungen der Leiter des Landesjugendjazzorchesters Schleswig- Holstein (LJJO) geworden. Eigens für unser Gespräch ist Michel Schroeder mit der Bahn aus Hamburg angereist. Ein Auto besitzt er nicht – „in Hamburg würde das sowieso eher stören“ – und die Verbindung nach Kiel findet er grundsätzlich hervorragend. Dass dieser außerordentlich freundliche, im wahrsten Sinne des Wortes entgegenkommende junge Mann sich selbst als einen relativ strengen Orchesterleiter beschreibt, scheint zunächst erstaunlich. Aber schnell wird klar, was er meint. „Zwischen 14 und 25 Jahre alt sind die Orchestermitglieder. Wenn wir uns fünfmal im Jahr für ein Probenwochenende in Kiel oder Rendsburg treffen, dann gehen die abends natürlich gern feiern. Das finde ich gut, die sollen eine gute Zeit haben. Aber sie dürfen trotzdem nicht zu spät zur Probe kommen.“ Diese eher milde Strenge scheint zu fruchten: Beim ersten großen Auftritt des LJJO unter der Leitung von Michel Schroeder auf der Kieler Woche klatschte das Publikum begeistert.
Das Orchester ist die wichtigste Schnittstelle zwischen Musik als Hobby und als Beruf.
90 Prozent aller professionellen Jazzmusiker in Schleswig-Holstein, so schätzt Michel Schroeder, hätten vorher im LJJO gespielt. Er selbst war im Alter von 14 bis etwa 22 Jahren Mitglied. Auch danach ist der Kontakt nie ganz abgerissen. Er übernahm als Dozent Satzproben, also Proben, in denen nur gleiche Instrumente ihren Part üben. Im Sommer 2023 ging es dann einen großen Schritt weiter: „Etwa 100 Leute haben im LJJO seit seinem Bestehen Trompete gespielt. Und als einer von denen gefragt zu werden, ob man das Orchester leiten möchte – da fühlt man sich wirklich sehr geehrt.“ Das Orchester, so Michel Schroeder, ist in Schleswig-Holstein die wichtigste Schnittstelle zwischen Musik als Hobby und als Beruf. „Es sorgt für einen spielerischen Übergang in die Profiwelt der Musik.“
Wenn es an Schreibtisch oder Klavier hakt und sich die Gedanken stauen, geht Michel Schroeder laufen. Das verschafft ihm Freiräume, auch musikalisch anders zu denken und neue Ideen zu produzieren. Dabei trägt ihn nicht nur der Geist weite Strecken, sondern auch die Füße. Zweimal hat er schon einen Marathon absolviert. Aber auch die dreijährige Tochter hält den jungen Vater auf Trab und sorgt für reichlich Abwechslung.
Michel Schroeder hat immer versucht, sich fortzubilden, neue Impulse zu bekommen, an seiner Vielseitigkeit zu arbeiten, auch schon bevor er an der Hamburger Musikhochschule Trompete und Komposition studiert hat. Er hat früh dafür gesorgt, mit seinen verschiedenen Bands, Ensembles, Musikprojekten und Kompositionen sichtbar zu werden, zum Beispiel, indem er etliche Auftritte auf YouTube veröffentlichte. „Damit habe ich damals kein Geld verdient, aber ich wusste, dass es eine gute Investition in die Zukunft ist. Ich habe mir langsam, aber sicher etwas aufgebaut. Auch wenn unbezahlte Arbeit vielleicht immer noch die Hälfte ausmacht, der Anteil nimmt ab.“ Davon abgesehen: Wenn Michel Schroeder heute auf der Bühne steht, ist es ein bisschen wie damals in der Lübecker Schulaula. Man sieht, dass es ihm Spaß macht.