Von der Straße bis Olympia:
Kaum ein Haushalt mit Kindern, in denen es kein Skateboard gibt – und auch bei Älteren wird Skaten immer beliebter. Bereits in den 1950er-Jahren schraubten Surfer in den USA bei mangelndem Wellengang Rollen unter ihre Surfboards, Ende der 1980er-Jahre gab es den ersten Boom hierzulande. Was früher als subkulturelle Randerscheinung wahrgenommen wurde, ist mittlerweile sogar eine olympische Sportart. los!-Autor Alexander Kurzhöfer steht seit drei Jahrzehnten regelmäßig auf dem Board. Im Gespräch mit Skatefans und -profis erkundet er den aktuellen Trend – und spürt seinem eigenen Lebensgefühl auf vier Rollen nach.
Das Skateboard: ein aus mehreren Ahornschichten verleimtes Brett, darunter zwei Achsen zum Lenken, daran angeschraubt vier Rollen zum Vorwärtskommen – ein einfaches Prinzip, aber eine stattliche Herausforderung für die Körperbeherrschung. Es gibt hauptsächlich zwei Arten von Boards, das zuletzt sehr beliebte Longboard – mit großen, weichen Rollen zum Dahingleiten – und das Trick-Skateboard, das wir uns heute genauer anschauen. Es ist kürzer und dadurch wendiger, hat härtere Rollen und ist vorn und hinten hochgebogen, sodass man sich damit kraftvoll vom Boden abstoßen kann. Im Sprung kann es mit entsprechenden Kicks in die gewünschte Richtung bewegt werden – wie beim Kickflip, bei dem sich das Brett im Flug um die Längsachse dreht.
„Es kommt zuallererst auf den Spaß an“
Ich gebe zu: Meine Kickflips werden seltener. Mit 41 Lenzen merke ich die abnehmende Sprungkraft. Das macht aber nichts. Stattdessen geht es eben häufiger in die Pipe, immer schön rauf und runter, von Kante zu Kante. Dabei kommt es eher auf die Boardkontrolle an. Im Gegensatz zu mir hat meine drei Jahre jüngere Schwester Bianca erst vor Kurzem mit dem Skaten angefangen. Den Kern der Sache hat sie allerdings sofort erfasst: „Klar, je früher man aufs Board steigt, desto wahrscheinlicher ist es, ein hohes Niveau zu erreichen. Aber beim Skaten kommt es zuallererst darauf an, Spaß zu haben. Und den hab ich!“ Das ist das Schöne am Skaten: Jeder kann sich seine ganz persönlichen Ziele setzen. Die können in der „Street“, also in einem urbanen Umfeld, ebenso umgesetzt werden wie im speziell angelegten Skatepark oder wo auch immer Pipes verschiedener Größen stehen, von der Miniramp bis zur Halfpipe. In allen Disziplinen gibt es reihenweise Variationen von Tricks. In Kombination mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten sind den Herausforderungen und der Phantasie keine Grenzen gesetzt.
„Die Stadt wird zu
deinem ganz persönlichen
Spielplatz.“
Für Helge Bachmann, Inhaber des Skateshops Support in Kiel, begann der Boom des Skateboards mit dem ersten Lockdown im März 2020, „seitdem ist es echt schwer geworden, Boards, Achsen oder Rollen für unseren Shop geliefert zu bekommen“, berichtet er. Über die üblichen Skater im Teenageralter hinaus hätten einige Skatesenioren ihre damalige Leidenschaft wiederentdeckt, hinzu kämen vermehrt Mädchen und junge Frauen. Kinder werden von Helge bereits ab einem Alter von fünf Jahren mit Boards in der jeweils passenden Größe ausgerüstet. „Gerade am Anfang ist es nie verkehrt, einen Helm zu tragen, da man noch nicht damit vertraut ist, wie das Board auf die ausgeführten Körperbewegungen reagiert“, gibt er dabei den Anfängern mit auf den Weg. Schon vor Corona fiel Skateboarding als junge, anspruchsvolle Sportart mit Potenzial zum Spektakel auf. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 sollte Skateboarden seine Premiere feiern. Sofern die Pandemie nicht erneut einen dicken Strich durch die Rechnung macht, könnte es im Sommer 2021 so weit sein.
„Von den Steppkes bis zu den alten Hasen: Im Skatepark ist’s bunt geworden.“
Über das Sportliche hinaus lernt man aber auch Lektionen, die später im Leben hilfreich sind – zum Beispiel, dass es oftmals mehrere Versuche braucht, bis etwas klappt, und dass man sich dabei nicht entmutigen lassen sollte. Die zunehmende Beliebtheit des Skateboards wundert mich als altgedienten „Skate-Opi“ nicht, denn es ist eben viel mehr als nur ein sportliches Fortbewegungsmittel, es ist ein Gefühl: Du schnappst dein Board, trittst vor die Tür und die Stadt wird zu deinem ganz persönlichen Spielplatz. Du siehst sie mit anderen Augen, das bedeutet Freiheit – gerade in Zeiten wie diesen. Zum Lifestyle wird der Sport durch die Kleidung, die Musik, die Szene-Sprache – das hat auch mich als Jugendlicher fasziniert. Die erste große Skatewelle, die Ende der 1980er-Jahre aus den USA herüberschwappte, verknüpfte Skaten mit Punkmusik, kleidungstechnisch orientierte sie sich noch an den Surfern. In den 1990er-Jahren kam Rapmusik mitsamt den weit und tief getragenen Hosen auf. Die grundsätzliche Ästhetik dieser Zeit ist auch jetzt wieder populär. Im Gegensatz zu den Neunzigern ist Skateboarding heute jedoch zugänglicher: Im Skatepark ist’s ziemlich bunt geworden, von den Steppkes bis zu alten Hasen wie mir.
Der heutige Tag im Skatepark beschert Bianca einige Erfolgserlebnisse. Sie lernt unter anderem, dass es nicht nur auf die Beine, sondern auch auf die Arme ankommt. Das Board folgt ihr in die Richtung, in der sie ihren Oberkörper bewegt. Drehungen klappen mit dieser Erkenntnis plötzlich viel besser. Das verschafft ihr medaillenverdächtig gute Laune. Ich hingegen bin etwas zerknirscht: Der lässige Trick, den ich früher draufhatte, will einfach nicht gelingen. Und schon muss ich den Spott der Anfängerin ertragen: „Für Olympia wird’s wahrscheinlich nicht mehr reichen, aber irgendwann kommst du sicher dahin, wo ich gerade bin“, sagt meine kleine Schwester augenzwinkernd. Das lasse ich nicht auf mir sitzen: Also rauf aufs Board und weitermachen, bis es klappt. Ich sag ja: Eine Schule fürs Leben!