Tom Seifert, 22 Jahre aus Burgum, Nordfriesland
Ein Tag im September 2017. Der Triebwagen ruckelt die kurze Strecke von Dagebüll nach Niebüll. 19 Minuten dauert die Fahrt im Normalfall, 15 Minuten, wenn der Lokführer Dampf machen muss. An diesem Tag begegnet Tom Seifert einem Fahrgast, der kein Deutsch versteht. Tom Seifert vermutet zunächst, einen Polen vor sich zu haben, tatsächlich – so erfährt er später – ist der Mann aber Spanier. Die Verständigung reicht zum Glück so weit, das Fahrtziel und die passende Fahrkarte herauszufinden. Hier könnte die Geschichte enden, hätte sie dem Azubi der Norddeutschen Eisenbahngesellschaft Niebüll GmbH (neg) nicht einen Ehrentitel eingebracht. Jedes Jahr schreibt die „Allianz pro Schiene“, ein Bündnis zur Förderung des Schienenverkehrs, einen Wettbewerb aus. Und 2018 hat Tom Seifert den Titel geholt. „Eisenbahner mit Herz – Landessieger 2018“: So darf sich der 22-jährige Nachwuchsschaffner jetzt nennen. Und das hat er dem spanischen Herrn zu verdanken.
Denn so ging es damals weiter: In Niebüll angekommen, verheddert sich der Mann in seinem Gepäck und stürzt aus dem Zug. Als Tom Seifert dem Spanier aufhilft, geht dieser direkt zum Bahnhofsvorplatz – offenbar glaubt er, bereits in Hamburg zu sein und gleich abgeholt zu werden. Was tun? Zumal Eile geboten ist. Tom Seifert handelt. Mit sanftem Druck und voll beladen mit dessen Gepäck lotst er den orientierungslosen Fahrgast zum richtigen Gleis. Und das Duo hat Glück. Der Zug aus Westerland hat Verspätung, sodass der spanische Hamburgreisende gerade noch in den Zug einsteigen kann – mittlerweile überzeugt, dass Niebüll nicht die Hansestadt und Tom Seifert ein Segen für ihn ist. Eine Mitreisende beobachtet das und reicht die Geschichte bei „Allianz pro Schiene“ ein. Der Rest ist bekannt.
„Alles was ich vorher in meinem Leben gemacht habe,
spielt hier jetzt positiv mit rein.“
Tom Seifert kommt eigentlich aus Kamenz bei Dresden. Er hat einiges aufgegeben, um 600 Kilometer weiter auf dem flachen Land seine Ausbildung zu beginnen. Nicht leicht für einen heimatverbundenen Typen wie ihn. In Sachsen war er Judotrainer und beim Technischen Hilfswerk (THW) packte er jederzeit mit an. Auch in Niebüll ist er dem THW beigetreten. Dass Tom Seifert ein sozialer Mensch ist, merkt man nicht erst, wenn er von seinem Vereinsengagement erzählt. Er lacht viel – auch über sich selbst. Die Sehnsucht nach Kamenz bekommt er langsam in den Griff. „Ich bereue den Schritt nicht. Und alles, was ich vorher in meinem Leben gemacht habe, spielt hier jetzt positiv mit rein.“ Der hohe Norden ist zur zweiten Heimat geworden.
Von der Arbeit schwärmt er: „Hier habe ich viel Abwechslung. Mal berate ich im neg-Kundencenter und mal bin ich als Schaffner unterwegs, oft als Betreuer in den IC-Kurswagen, die in Niebüll an- oder abgekoppelt werden. Wir von der neg arbeiten eng mit der Deutschen Bahn und der Wyker Dampfschiffs-Reederei zusammen, die die Fähren von Dagebüll zu den Inseln betreibt, damit unsere Fahrgäste möglichst entspannt ihren Urlaubsort erreichen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“
Im Zug liebt er die Gespräche mit Menschen aus ganz Deutschland und natürlich von überall auf der Welt. Seine Hilfsbereitschaft überwindet spielend etwaige Sprachbarrieren. Aber noch immer wird Tom Seifert warm ums Herz, wenn ihm ein Mensch aus Sachsen das Ticket entgegenhält. Denn ein bisschen Sachse bleibt man immer – auch als Nordfriese ehrenhalber.