Sieht aus wie ein normaler Linienbus, einsteigen dürfen aber nur bestimmte Fahrgäste: etwa 90 bis 120 Zentimeter Körpergröße, zwischen drei und sechs Jahre alt, Rucksack, Gummistiefel. los! geht heute mit an Bord des Kieler Strandkindergartenbusses.

Das netteste Bushäuschen der Stadt

Kurz vor acht brennt im AWO-Kinderhaus Klausbrook längst Licht. Der Raum gleich vorne links ist das womöglich netteste Bushäuschen der Stadt: gemütliches Sofa, Verkehrsteppich mit Autos, Kindertische, Puzzles und Bücher. Wie jeden Morgen unter der Woche versammelt sich hier eine Gruppe Kinder, um auf die Abfahrt zum AWO-Strandkindergarten in Falckenstein zu warten. Nach und nach trudeln die kleinen Fahrgäste ein. Der vierjährige Axel ist stolz, heute der Erste zu sein, und teilt es jedem mit, der dazustößt. So wie sein gleichaltriger Kumpel Till und dessen Bruder Eli, der übermorgen sechs wird und sich ganz sicher ist, ein Ritterschloss zu bekommen.

„Wenn du aus dem Fenster guckst,
weißt du dann, wo du bist?“

„Ja.“

„Wo sind wir denn jetzt gerade?“

„Keine Ahnung.“

Pusteküsse durch die Fensterscheibe

8.15 Uhr: Der Strandkindergartenbus kommt, es geht los! An dieser und jeder weiteren Station, an der Kinder zusteigen, spielen sich rührende Szenen ab: Matschhosen, Ano­raks und Mützen in allen Farben, aufgereiht an der Linie zum Fahrradweg. Sobald die Erzieher an der geöffneten Bustür das Signal geben und kein Fahrradfahrer in Sicht ist, darf sich die Meute in Bewegung setzen. Dann gibt es Pusteküsse durch die Fensterscheibe und zurück bleibt eine winkende Elternschar. Dass eine Mutter oder ein Vater den Kindergartenrucksack noch in der Hand hält und aus Versehen mit ins Büro trägt, kommt gelegentlich vor, ist aber kein Drama. „Mama ist manchmal dusselig“, kommentiert Axel dieses kleine Malheur ganz gelassen und bekommt später etwas aus den Brotboxen seiner Freunde ab. Yohan, Jonas, Friedrich und Lasse sind an der Haltestelle Schauspielhaus eingestiegen. Sie haben nicht mehr allzu viele Busfahrten vor sich, da sie im Sommer eingeschult werden. Ob er sich noch an seine erste Fahrt erinnern kann und womöglich Angst hatte, wollen wir von Yohan wissen. „Ein bisschen aufgeregt war ich, aber Angst hatte ich nicht!“ Sein Sitznachbar Jonas schaut ihn erstaunt an. „Also ich kann mich daran überhaupt kein bisschen erinnern.“ Axel, der eigener Schätzung nach schon „tausend Millionen Mal“ mitgefahren ist, weiß genau, was während der Fahrt nicht erlaubt ist: „Essen und trinken, auf Klo gehen und Fußball spielen.“ „Darf man singen?“ „Das darf man.“ Schlafen darf man übrigens auch. Zumindest auf der Heimfahrt lehnen ein paar Köpfchen an der Scheibe. „Es sind immer dieselben, die einschlafen“, sagt Erzieherin Sonja, „so ein Kindergartentag ist gerade für die Jüngsten ganz schön anstrengend.“

 

Alles wird notiert

Welche Haltestellen auf der Route zum Strandkindergarten liegen, können alle im Chor beantworten. Außerdem weiß jedes Kind, wo es einsteigt und wieder abgeholt wird. Meistens jedenfalls, denn es gibt auch Tage, an denen alles anders ist: Beeindruckt beobachten wir, wie die Erzieherinnen Sonja, Hilke und Diana zusammen mit den FSJ-lern Dylan, Jasmin und Svea an jeder Bushaltestelle Informationen und diverse Tüten von Eltern entgegennehmen: Noah geht heute mit zu Johannes, Ylva fährt nachher bis zur Endstation, Helene vermisst ihr Freundebuch, hier sind neue Wechselsachen für Michel … Alles wird notiert, damit auch nichts schiefgeht.

„Jetzt habe ich
eine Frikadelle am Ohr.“

„Wieso?“

„Na, weil du mir die
ganze Fahrt über von
deinem Ritterschloss
erzählt hast.“

Sitzen bleiben! Und nicht nur auf einer Pobacke.

Rund um die Busfahrt zum Kindergarten gibt es klare Regeln, an die sich alle halten – Kinder und Eltern, Erzieher und Busfahrer. So wissen die Kids ganz genau, dass sie nicht rennen, drängeln und während der Fahrt aufstehen dürfen. Es geht immer erst weiter, wenn alle ihren Platz eingenommen haben. Auf die Frage, woran sie am häufigsten erinnern müssen, haben alle Erzieher die gleiche Antwort: „Sitzen bleiben! Und nicht nur auf einer Pobacke.“ Die Sitzreihe hinterm Fahrer ist tabu, damit er sich konzentrieren kann. Mancher Dreikäsehoch ist nämlich ziemlich neugierig und gesprächig, was ja grundsätzlich sehr schön ist. Auch heute Morgen erfüllt reges Geplapper den Bus.

Gegen neun Uhr erreicht der Bus Falckenstein. Ganz diszipliniert steigen die Jungs und Mädchen aus und gehen gemeinsam durch ein Waldstück bis zu den AWO-Spitzhäusern, zwischen denen die blaue Ostsee durchblitzt. In einigen Stunden werden sie zur Haltestelle zurückkehren – ein bisschen dreckiger vermutlich, vielleicht auch müde, aber happy und so gut durchgelüftet, dass auch auf der Heimfahrt alles klappt.

 

An der Ostsee

Vor Ort begrüßt uns Cordula Steinke, Leiterin des Strandkindergartens. Sie weiß die Vorteile der An- und Abreise mit dem Bus zu schätzen. Anfangs gab es nur eine Route, als eine dritte Kindergartengruppe eröffnet wurde, kam eine zweite Tour hinzu. So kommen Kinder aus allen Stadtteilen zwischen Russee, Klausbrook und Friedrichsort in den Genuss, den Vormittag im Freien an der Ostsee zu verbringen. Neben dem ökologischen Aspekt, dass eben nicht 66 Kinder einzeln mit dem Auto gebracht und abgeholt werden müssen, ist der soziale Faktor nicht zu unterschätzen: „Die Kinder können während der Fahrt in Ruhe kommunizieren und die Erzieher auf einzelne Kinder stärker eingehen, die über den Tag womöglich zu kurz gekommen sind.“ Darüber hinaus würden die Kinder früh an den ÖPNV herangeführt und eigneten sich eine gewisse Souveränität im Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln an, die vielen anderen Erstklässlern zunächst fehle. Steinke: „Nichtsdestotrotz ist die Busfahrt für uns mit dem höchsten organisatorischen Aufwand und der größten Verantwortung verbunden.“

„Könntest du
dir vorstellen, später einmal als
Busfahrer zu arbeiten?“

„Ich möchte lieber Power Ranger werden.“

Ein neuer Lebensabschnitt

Verkehrserziehung ist hier von Beginn an Bestandteil des Tagesablaufs. Zur Eingewöhnung fahren die Eltern ein-, zweimal im Bus mit und unterstützen ihre Kinder dabei, Hemmungen abzubauen und die Fahrtregeln zu beachten. „Die Eltern brauchen mindestens genauso viel Einweisung“, sagt Cordula Steinke lachend. „Tatsächlich haben wir auch festgestellt, dass der Trennungsschmerz beim Abschied an der Haltestelle deutlich milder ausfällt als an der Kindergartentür, vor allem für die Eltern. Unsere Kinder lernen früh, auf sich aufzupassen und darauf zu achten, wo die Gruppe ist, der man sich anschließen muss.“ Da gibt es zum einen drei verschiedene Kindergartengruppen, zum anderen die jeweilige Busgruppe. Der Russee-Bus steuert eine Haltestelle unweit des Kindergartens an, für die man eine Straße ohne Ampel oder Zebrastreifen überqueren muss. Hier halten sich alle an die festgelegten Sammelpunkte unterwegs, da nun mal nicht alle gleich schnell laufen können. Die Kinder zeigen höchste Aufmerksamkeit, um sicher auf die andere Straßenseite zu gelangen. Mit den angehenden Schulkindern (den „Schulis“) unternehmen die Erzieherinnen Touren auf etwas größeren Fahrrädern. Schließlich beginnt mit der Einschulung ein neuer Lebensabschnitt, in dem sich die Kinder noch selbstständiger im Straßenverkehr zurechtfinden müssen – eine Herausforderung, auf die die Kids vom Strandkindergarten bestens vorbereitet sind!

Dresscode: Gummistiefel
Das ideale Schuhwerk für ein Strandkindergartenkind.

Bitte alle einsteigen!
Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein großer Schritt für die Kleinen.

Cheese!
Die Vorfreude wächst mit jedem Kilometer.

Gleich geschafft!
Gegen neun Uhr morgens erreicht der Bus sein Ziel.

Endstation Falckenstein
Von hier geht es zu Fuß weiter.

Matsch macht Laune!
Wie war das noch mit dem Schuhwerk …? Ganz genau!

Schneewittchen und die sieben Zwerge?
Nein, tapfer marschierende Kindergartenkinder unterwegs zum Strand.

Da ist das Meer!
Nun kann stundenlang im Sand gebuddelt werden.

Verkehrspolitik gehört nicht in den toten Winkel

Auf ein Wort mit Elisabeth Pier, Geschäftsführende Vizepräsidentin der Landesverkehrswacht Schleswig-Holstein (LVW)

Als gemeinnütziger Verein engagiert sich die LVW seit über 50 Jahren dafür, den Gefahren des Straßenverkehrs entgegenzuwirken. Wie kann man sich diese Arbeit vorstellen?

Elisabeth Pier: Unsere Präventivarbeit fängt bei Eltern an, die mit Säuglingen unterwegs sind, reicht über Kindergartenkinder bis hin zu Flüchtlingsfamilien, die sich in Deutschlands Straßenverkehr zurechtfinden müssen. Kindergärten unterstützen wir mit Aktionen wie „Vom Rollern zum Radeln“ beim Übergang in die Schulzeit. Wichtig ist in diesem Alter, zunächst einmal das zu lernen, was im örtlichen Umfeld vorkommt. Während in ländlicher Umgebung weniger Ampeln stehen, spielt das Busfahren in der Stadt, wo die Grundschule um die Ecke ist, eine untergeordnete Rolle. Der Strandkindergarten bildet in diesem Fall eine Ausnahme. Über die Grundschulzeit hinweg unterstützen wir die Lehrer mit Schulungen wie „Sicherheit durch Sichtbarkeit“, der Fahrradschule (erst in der Halle, dann auf dem Verkehrsübungsplatz) und schließlich der Fahrradführerscheinprüfung in Zusammenarbeit mit der Polizei.

Wo kann man sich rund um das Thema Verkehrserziehung schlaumachen?

Elisabeth Pier: Für den Fahrradführerschein nehmen wir alle Schulen in die Pflicht. Bei allen anderen Angeboten kommen die Schulen und Einrichtungen auf uns zu. Grundsätzlich kann sich jeder über unsere Internetseite einen Überblick über das Angebot verschaffen und Kontakt aufnehmen.

Was sind die größten Probleme und Herausforderungen?

Elisabeth Pier: Manche Kinder sitzen bei der Fahrradprüfung zum ersten Mal auf einem Rad. Auch bedenklich sind allerdings Kindergartenkinder, die laut Eltern Fahrrad fahren „können“. Sicher, sie kommen mit dem Rad vorwärts, aber zum Radeln in der Stadt gehört so viel mehr. In unerwarteten Situationen sind sie nicht in der Lage, instinktiv zu reagieren wie Erwachsene. Immer wieder großes Thema ist auch der tote Winkel, der seit jeher unterschätzt wird.

Was sind die wichtigsten Tipps für den Nachwuchs im ÖPNV?

Elisabeth Pier: Eher ein Tipp für die Eltern: Trauen Sie Ihren Kindern ruhig etwas zu, zum Beispiel mit dem Bus zur Schule zu fahren. Das tut ihnen gut – von der Bewegung über die Kommunikation mit Schulkameraden bis hin zur Selbstständigkeit im Nahverkehr.

Mehr Informationen unter www.lvw-sh.de