Jana und Jonna fanden Melonen schon immer lecker. Jetzt können sie ihnen zu Hause beim Wachsen zusehen.

Was im Norden heute wächst und gedeiht

Kohl ist König bei uns im Norden – zumindest was den Gemüseanbau angeht, und zwar nicht nur in Dithmarschen. Bei Zug- und Busfahrten über Land im April und Mai wird das deutlich: Der dann leuchtend gelb blühende Raps zählt nämlich zu den Kohlgewächsen. In der Anbaufläche übertroffen wird er nur von den Getreidesorten Mais und Weizen. Auf dem Obstfeld übrigens darf die allseits beliebte Erdbeere den meisten Platz für sich beanspruchen. Doch die Klassiker unserer Felder bekommen Konkurrenz, zum Beispiel durch: Aprikosen aus dem Kieler Umland, Tee vom Tremsbütteler Feld, Quinoa aus Traventhal, Melonen von der Nordseeküste, Aroniasaft aus Blekendorf oder Linsen am Nord-Ostsee-Kanal. Die Gründe für die außergewöhnlichen Nutzpflanzenanbauten sind vielfältig: Teilweise sind es die veränderten klimatischen Bedingungen, an die sich die Landwirt*innen anpassen, aber auch ihre Lust am Experimentieren und nicht zuletzt der Zufall spielen eine Rolle. Zugegeben, bis diese Exoten in unseren Gefilden zarte Wurzeln schlagen, gibt es viele Fragen zu klären: Was ist die optimale Wassermenge? Wie reagiert die Pflanze auf welche Temperaturen? Wie kalkhaltig darf der Boden sein? Wir haben uns auf einigen Höfen im Land umgehört – und eine Menge dazugelernt.

Kronprinzenkoog, Kreis Dithmarschen, Hof Kreutzfeldt: Landwirtin Inga Kreutzfeldt kniet sich hinunter zu einer ihrer Melonenpflanzen in der etwa 250 Meter langen Anbaureihe, legt eine der noch klein gewachsenen Melonen frei, beäugt jedoch viel mehr noch Blätter und Blüten. „Die Melone ist eine Diva“, meint sie augenzwinkernd. Diesen Satz hat sie schon oft gesagt, denn ihr Ernteertrag ist sehr wetterabhängig und dadurch wenig vorhersehbar. In diesem konkreten Fall spielt sie aber noch auf etwas anderes an. „Dieser Pflanze geht es gut – zu gut. Sie steckt ihre Kraft in ihre Schönheit. Die weniger imposant aussehenden Pflanzen tragen besser. Sie wenden ihre Energie für die Frucht auf“. Solcherlei Eigenheiten faszinieren Inga. „Man könnte meinen, Wassermelonen brauchen besonders viel Wasser, aber: Pustekuchen! Beim Anbau 2022 herrschte Dürre und einige Reihen waren ohne Wasseranschluss. Die betroffenen Melonenreihen sahen das aber vollkommen gelassen. Warum, kann ich nicht zweifelsfrei sagen. Meine Vermutung ist, die Melone holt sich das Wasser über die Luftfeuchtigkeit.“ Was sie dringender brauche, sei Wärme. Inga schaut so, als dürfe man es nur hinter vorgehaltener Hand sagen: „Ich weiß, es klingt wie ein Aprilscherz, doch die Melone ist eine Wüstenfrucht!“

Der optimale Zeitraum für den Melonenanbau liegt zwischen Anfang April und Ende September. 40 Tage muss die Melone reifen, fünf Erntezyklen sind in dem Zeitraum möglich. Ingas Fokus liegt auf den Wassermelonen bis etwa zwei Kilogramm, neun verschiedene Sorten baut sie in diesem Jahr auf zwei Hektar an. Wie hoch der Ertrag in absoluten Zahlen sein wird, kann sie noch nicht abschätzen. Rein flächenmäßig trägt sie zu rund zehn Prozent des Melonenanbaus in ganz Deutschland bei, der bislang eine winzige Nische in der deutschen Landwirtschaft darstellt. Ingas Nischendasein war nicht geplant. Eigentlich waren die Melonenreste aus einer der Pfandkisten des Großhändlers lediglich als Kompost fürs Feld gedacht, doch plötzlich sprossen zur Freude Ingas und ihrer Töchter Melonenpflanzen aus dem Acker! Jana und Jonna waren bereits zuvor riesige Melonenfans.

„Die Melone ist eine Diva.“
Inga Kreutzfeldt, Melonenbäuerin

Seit 2020 lernen die Kreutzfeldts die Frucht – genauer gesagt das Fruchtgemüse – immer besser kennen: Zu viel Regen lässt die Wurzeln faulen oder fördert einen Pilzbefall der Blätter, zu viel Sonne verursacht Sonnenbrand. Letzterer erhellt die Farbe der Melonenschale, wirkt sich aber nicht auf das Innere der Frucht aus. Erfahrungen wie diese tauscht Inga mit anderen Melonenbäuerinnen und -bauern weltweit aus. Doch nicht alle im Melonenuniversum sind den neuen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossen. Nachdem der regionale Lebensmitteleinzelhandel ihre Melonen zunächst in seine Auslagen übernehmen wollte, haperte es dann doch mit dem Verständnis für die Vielfältigkeit in Farbe und Form der einzelnen Sorten. Teils wurden sogar Anlieferungen vollständig zurückgesendet. „Noch nicht reif“ urteilten Händler, die sich mit einer hellen Sorte nicht auskannten. Die eindimensionale Erwartungshaltung der Supermärkte zu bedienen, kommt für Inga jedoch nicht infrage. Sie ist einzig und allein bestrebt, die bestmögliche Qualität zu erzielen. Und so verkauft sie ihre Melonen über die eigene Verkaufsbude, sehr zur Freude ihrer Kundschaft: „Da kommt es immer zu tollen Aha-Effekten – nicht nur beim Aussehen, sondern vor allem beim Geschmack!“

Ein Folientunnel verschafft den Aprikosenbäumen die nötige Wärme.

Hauke Klindt baut im Kreis Plön Aprikosen an.

Passade, Kreis Plön, Hof Moorhörn: Landwirt Hauke Klindt pflückt eine seiner Aprikosen vom Baum, bricht sie auf, zieht eine Augenbraue hoch. „Da ist er ja, der Gauner“, sagt er erstaunlich gelassen, während der auf frischer Tat ertappte Ohrenkneifer schnell das Weite sucht. Hauke erkennt die vom Schädling befallenen Früchte auf den ersten Blick, sie werden spätestens bei der Ernte aussortiert. Optimale Qualität steht auch bei ihm ganz oben auf der Prioritätenliste. „Auch wenn wir einige der Aprikosen an den Ohrenkneifer verlieren, hätte die Ernte in diesem Jahr kaum besser ausfallen können“, bilanziert Bauer Klindt. Etwa eine Tonne dürften seine 700 Bäume dieses Jahr abwerfen. Ganz genau weiß er es erst Ende August, dann sind die letzten Aprikosenbäume abgepflückt. Seine Sorten haben so klangvolle Namen wie Rougibon, Candide oder Faralia. Am meisten getragen hat die Robala, das kann Hauke jetzt schon sagen. Die Orangenaprikose schmecke super, habe aber nur einen geringen Ertrag. All diese Dinge muss der norddeutsche Aprikosenpionier erst einmal herausfinden. Es ist das zweite Jahr, in dem Hauke Klindt Aprikosen anbaut: „Es heißt, im ersten Jahr brauche man nicht mit einer einzigen Aprikose zu rechnen, doch bereits da konnten wir etwa 150 Stück pflücken.“ Er weiß dabei um einen Standortvorteil: Die Ostsee ganz in der Nähe wirke wie eine Klimaanlage, sie sorge dafür, dass es selten zu heiß, vor allem aber nicht zu kalt wird. „Die Aprikose ist eine Frühstarterin. Kaum ist der Frühling da, sagt sie ‚Danke!‘ und legt los. Doch das macht sie so anfällig für den Spätfrost. Der ist zehn Kilometer weiter im Landesinneren aber ausgeprägter als hier bei uns im küstennahen Passade.“ Da es die sonst eher im Mittelmeerraum angebaute Steinfrucht aus der Familie der Rosengewächse gerne warm hat, kommen ihr die klimatischen Veränderungen zugute. Dass Hauke Klindt der wohl nördlichste Aprikosenbauer ist, macht seine Erzeugnisse zu einer regionalen Besonderheit. Anbieten kann er sie sowohl im Direktverkauf als auch über den Lebensmitteleinzelhandel, dann in aller Regel als Trockenfrucht.

„Die Aprikose ist eine Frühstarterin.“
Obstbauer Hauke Klindt

Seinem Boden schenkt der Landwirt großes Vertrauen. Dass der Aprikosenanbau eine uneingeschränkt fruchtige Zukunft in Schleswig-Holstein hat, wäre zu diesem frühen Zeitpunkt jedoch eine mutige Behauptung. Da die Anpflanzung weniger Baumreihen im ersten Jahr lediglich ein Testlauf war, ist dieses Jahr im Grunde das erste Anbaujahr mit belastbaren Ergebnissen. „Ein Jahr ist kein Jahr. Sollten bei sieben Jahren Anbau zwei, drei Jahre unbrauchbar sein, dann wäre mir das Risiko langfristig zu hoch“, sagt Bauer Klindt bestimmt. Einen Produktionsdruck mache er sich gerade in der Anfangsphase jedoch nicht, zumal das System zur Bewässerung und der sogenannte Folientunnel, der über die Aprikosenbäume gespannt ist und die Wärme hält, bereits vorhanden war. Für den nötigen Umsatz auf Hof Moorhörn sorgt ohnehin die Himbeere. „Ich glaube auch nicht, dass sich das ändert.“ Bauer Klindt macht eine rhetorische Pause, um grinsend hinterherzuschieben: „Aber man soll niemals nie sagen.“

Schinkel, Kreis Rendsburg-Eckernförde, Hof Mevs: „Man sieht es der Linse nicht an, wie viel Aufwand für sie betrieben wurde“, merkt Landwirtin Wiebke Stock ganz trocken an. Ihre Ausführungen lassen erahnen, wie komplex der Anbau der lange Zeit im Norden ausgestorbenen Nutzpflanze ist. „Vor allem braucht die Linse Hilfe. Hätte sie den Hafer nicht zum Ranken, würde sie platt am Boden liegen. Zusätzlich dient der Leindotter als Stützfrucht, der außerdem blüht und Insekten anlockt.“ Insektenfreundlichkeit ist ein wichtiges Kriterium für den Biohof. Die Helferpflanzen dienen jedoch nicht allein dem Wachstum der Linse. Der Hafer geht an die Ziegen des Hofes, der Leindotter wird in der hofeigenen Ölmühle zu Leindotteröl gepresst.

Doch zunächst müssen die Körner der Pflanzen „gereinigt“, das heißt nach der Ernte sorgfältig voneinander getrennt werden. Da sie alle unterschiedliche Größen und Formen haben, können verschiedenartige Siebe dafür genutzt werden: Linsen sind rund, Hafer ist länglich, Leindotter sehr klein. „Die Reinigung ist noch der leichtere Part der Erntephase, schwieriger ist der Teil zuvor. Eine ausschließlich maschinenbetriebene und dadurch zeitsparende Ernte ist gar nicht möglich. Die Fasern des Leindotters würden alle Geräte in kürzester Zeit zum Erliegen bringen, sie wickeln wie Sau“, erklärt Wiebke salopp. Zudem gibt es kaum Züchtungsarbeit, die Erträge sind gering. Es überrascht also nicht, dass die Linse der rentabilitätsorientierten Industrialisierung in der Landwirtschaft zum Opfer fiel. Über 100 Jahre wurde sie hierzulande nicht mehr angebaut und unter anderem aus der Türkei importiert. 2019 hat Wiebke Stock zusammen mit ihrem Partner Jahne Zastrow die Linse wieder auf die deutsche Anbaukarte gebracht – am Nord-Ostsee-Kanal zwischen Kiel und Rendsburg.

„Die Linse braucht Hilfe.“
Landwirtin Wiebke Stock aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde

Dass gegenseitige Hilfe vieles möglich macht, zeigt nicht nur der Anbau der Linse an sich. „Ohne den Zusammenschluss in der Solawi (Solidarische Landwirtschaft) wäre uns der Linsenanbau nicht möglich, denn gerade die Kultivierung bislang unbekannter oder vergessener Pflanzen birgt kaum Planungssicherheit“, betont Wiebke. Das Risiko schlechter Ernteerträge wird sowohl auf die Schultern der anbauenden Betriebe als auch auf die Solawistas (Mitglieder) verteilt, die eine feste Abnahme bereits im Vorfeld der Produktion ordern. Die übrige Menge gelangt in die Hofläden der Umgebung. Die Linse ist eine Antwort auf die zuletzt gestiegene Nachfrage nach pflanzlichem Eiweiß.

Die Linsen vom Hof Mevs zählen zur Sorte Puy und sind bei Verbraucher*innen beliebt, weil sie festkochend sind und ihre Form behalten. Doch dies ist nicht der einzige Grund, weshalb sie in Schinkel wieder wachsen darf: „Jahne und ich mögen die Herausforderungen eines anspruchsvollen Anbaus, Standard gibt es ja genug. Unser Fokus liegt auf Pflanzen, die schon mal heimisch bei uns waren, aber dann vergessen wurden – so wie die Linse eben. Das wohl Wichtigste ist aber: Wir haben einfach eine Riesenlust am Experimentieren!“

Lust, noch mehr über die landwirtschaftlichen Betriebe aus unserer los! -Reportage zu erfahren?
Hier geht’s in die virtuelle Hofeinfahrt:

www.hof-kreutzfeldt.de
www.hof-moorhoern.de
www.hof-mevs.de